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Eine Schatzkiste voller Erinnerungen

Jürgen ließ sich gegenüber seiner zwei Schwestern auf den freien Stuhl plumpsen.
„Sorry Mädels, ich war noch auf dem Friedhof und wer ist gleich hinter einem Grabstein hervorgesprungen und hat mir ein Ohr abgekaut“?
„Frau Seliger“, lachten Silvia und Brigitte unisono.
„Wobei springen wohl nicht der richtige Ausdruck ist. Die alte Lady ist mit ihrem Rollator und Dackel Peppi auf mich zugerollt und schon war ich in ihren Fängen.“
Jürgen bestellte sich bei der jungen Bedienung einen Cappuccino und Lebkuchenschnitten.
Die drei Geschwister trafen sich jedes Jahr eine Woche vor Weihnachten in ihrem Lieblingscafé, um die Planung der Feiertage zu besprechen. Jeder kam aus einer anderen Ecke der Stadt. Hier war es gemütlich und festlich geschmückt und stimmte damit alle Gäste auf das kommende Fest ein.
Es roch wunderbar nach selbstgebackenen Plätzchen und Glühwein. Ein schöner Ort zur Adventszeit.
„Ich habe sie auch vor zwei Wochen getroffen, als ich das Adventsgesteck auf das Grab gestellt habe. Sie meinte gleich, dass Rot und Gold die Lieblingsfarben von Mama waren.“ Brigitte nippte an ihrem Tee. „Sie erinnerte sich auch daran, dass Papa immer eine Stechpalme mit kleinen Glaskugeln am 1. Adventssonntag ans Fenster stellte, da ist es mir auch wieder eingefallen, er liebte Stechpalmen“.
Frau Seliger und ihr Mann wohnten direkt gegenüber den Geschwistern und ihren Eltern und gehörten zur kleinen Einbahnstraße wie der Topf zum Deckel. Als die drei noch Kinder waren, bekamen sie immer Süßigkeiten geschenkt und Hr. Seliger zeigte ihnen sein Aquarium. Als dieser später starb, zog Frau Seliger in ein betreutes Wohnheim.
Da waren die Eltern der drei schon verstorben und das Haus verkauft.
Wenn man was erfahren wollte, dann musste man nur bei den beiden klingeln. Sie waren eine Institution in der Wohngegend. Freundlich, neugierig und immer gut informiert. Besonders Frau Seliger war eine richtige Quasselstrippe und eilig durfte man es nicht haben, wenn man ihr begegnete. Damals wie heute.
Silvia dachte nach. „Ja, stimmt und als ich sie im Herbst traf beim Grab gießen erzählte sie mir, dass wir immer am Heiligen Abend draußen im Garten Lieder gesungen haben und sie mit gesummt hatte. Papa hat dirigiert und Mama hat Flöte gespielt. Die Seligers haben alles mitverfolgt und uns dann applaudiert.“
„Sie erinnerte mich heute auch noch, dass sie oft einen Kuchen nach Mamas Rezept gebacken hat, Mandarinen-Kokoskuchen. Jedes Mal, wenn sie in den Kuchen gebissen hat, dann dachte sie an Mama die mit ihrer roten Schürze mit den gelben Punkten bei ihr geklingelt und ihr ein paar Stücke rübergebracht hatte. Die vielen Rezepte hat Mama irgendwann Frau Seliger gegeben, weil wir sie nicht wollten. Mensch, der Kuchen war traumhaft. Ich kann ihn förmlich riechen.“
Jürgen verzog das Gesicht. „Ich krieg ein schlechtes Gewissen. Schon erstaunlich was sie noch alles weiß, sie hat ein grandioses Langzeitgedächtnis.“.
„Sie weiß so viel über unsere Eltern was wir schon längst vergessen haben oder was uns aktuell eben nicht interessiert hat. Dann sterben die Eltern und wir können niemanden mehr fragen. Frau Seliger ist eine Zeitzeugin, eine Schatzkiste voller Erinnerungen und Mama mochte sie sehr“ seufzte Brigitte und ihre Geschwister nickten nachdenklich.
„ Wir sollten ihr besser zuhören und nicht flüchten. Wer weiß, was sie noch alles auf Lager hat. Sie ist einsam und auf dem Friedhof trifft sie alle möglichen Leute. Sie zeigte mir unser kleines Bild, sie hat es in ihrem Geldbeutel, da waren wir drei drauf mit den Seligers. Papa hatte das Foto gemacht. Wir schauten so fröhlich aus, du Brigitte mit Zahnlücke und Bruderherz du mit verschmierten Marmeladenbrotgesicht. Das ist doch sehr berührend, oder?“ fragte Silvia leise.

Die Seligers waren kinderlos, aber immer mit einem Dackel als Haustier ausgestattet und freuten sich sehr, wenn Besuch kam von all den Kindern in der Siedlung.
Die Geschwister aßen still ihre Plätzchen und jeder hing kurz seinen Gedanken nach. Die Zeit vergeht so schnell, jeder hetzt durchs Leben Richtung Zukunft. Die Vergangenheit schwindet, irgendwann bekommt man keine Antwort mehr auf seine Fragen, weil niemand mehr da ist, der sie beantworten kann.
„Mir kommt gerade so eine Idee. Ich weiß, dass Frau Seliger ein bisschen anstrengend ist, aber mir tut sie auch leid, weil sie allein ist und gerne Unterhaltung hat. Wer weiß wie lange sie noch in der Lage ist, uns auf dem Friedhof heimzusuchen. Was haltet ihr davon, wenn wir sie am zweiten Weihnachtsfeiertag einladen. Diesmal richte ich den Weihnachtstreff aus. Mein Haus liegt nicht weit weg von dem Heim. Was meint ihr?“ fragte Brigitte in die Runde.
Ihre Geschwister nickten. „Guter Vorschlag, das machen wir.“ Jürgen rollte kurz die Augen und grinste. „Ich muss nur noch meine Liebste vorwarnen, dass mich die alte Dame in die Backe kneifen wird, wie groß und stark ich geworden bin“.
„Du und stark, dass ich nicht lache“ konterte Brigitte. „Wir rufen sie gleich hier an, ich weiß das sie in der Seniorenresidenz „Sonnenschein“ lebt“.
Brigitte rief mit ihrem Handy die Zentrale an und ließ sich auf das Zimmer von Frau Seliger verbinden. Sie hatten Glück, die Dame war zu Hause.
„Ja Seliger“ rief sie in den Hörer.
„Hallo Frau Seliger, hier ist Brigitte Reimer. Silvia und Jürgen hören auf Lautsprecher mit. Wir sitzen gerade im Café und haben an sie gedacht. Sie haben heute Jürgen auf dem Friedhof getroffen. Wir wollten sie fragen, ob sie uns am zweiten Weihnachtsfeiertag besuchen wollen. Bei mir in der Wohnung, Silvia kommt mit ihrem Mann und Tochter und Jürgen mit seiner Freundin. Peppi dürfen sie auch mitbringen, haben Sie Lust?“
Es war erst still im Hörer, dann ein Räuspern.
„Oh, ich weiß nicht was ich sagen soll. Peppi, hast du das gehört? Das ist ganz entzückend. Ich komme sehr gerne. Ich bringe dann auch meinen kleinen Karton mit da sind viele Fotos von ihnen und ich habe noch einen Brief, ihre Mama hat mir mal geschrieben aus dem Urlaub.
So herzlich. Ich habe alles aufgehoben.“
„Ja bringen sie alles mit was sie haben, um 15.00? Ist ihnen das recht? Mein Mann kann sie abholen?“ fragte Brigitte.
„Nein, kein Problem, sie wohnen ja nicht so weit weg von mir, der Fußmarsch wird uns gut tun. Ich freue mich so sehr. Wirklich freundlich von ihnen“ sagte die alte Dame ganz gerührt.
„Dann bis in einer Woche und viele Grüße von uns allen. Servus liebe Frau Seliger“.

„Da haben wir aber eine glücklich gemacht“ freute sich Silvia. „Ich denke mal das wird sicher sehr interessant und so eine Zeitreise in die Vergangenheit können wir unseren Lieben auch zumuten, da werden sie noch einiges über uns erfahren und wir auch“.
„Ich finde, das ist eine schöne Geste und wenn sie uns dann wieder mal hinter einem Grabstein erschreckt, dann wissen wir, dass sie eigentlich nur eine gute Seele mit vielen Erinnerungen ist.  Wir sollten das wertschätzen. Ich freue mich drauf. Es bringt uns auch Mama und Papa näher. Ich vermisse die beiden sehr, besonders zur Weihnachtszeit. Wir haben sie viel zu früh verloren, ich dachte immer wir hätten noch so viel Zeit zusammen.“ Brigitte schniefte in ihr Taschentuch.
Jürgen packte die Hände seiner Schwestern. „Wir hören uns immer zu und schreiben uns ab sofort alles auf was wichtig ist. Versprochen?“
Die Geschwister drückten sich die Hände und wussten schon jetzt, dass dieses Weihnachtsfest ein ganz Besonderes werden wird. Voller schöner Erinnerungen.

 

Der verlorene Heiligenschein

Das Christkind schafft nicht alle Geschenke allein zu verteilen. Da müssen die Eltern mithelfen und die vielen kleinen Engeln. Überall flogen sie durch die Stuben und verteilten goldenen Sternenstaub, damit der Weihnachtssegen in allen Räumen, Herzen und Gaben eindringen konnte, um den heiligen Weihnachtsabend zu krönen.

Ein noch etwas junger unerfahrener Engel hatte den Auftrag in ein Haus zu fliegen und dort den göttlichen Segen zu verteilen. Engel konnten durch Wände gleiten und als dies geschafft war, flog der Engel zu dem herrlichen Christbaum wo die vielen Geschenke schon warteten ausgepackt zu werden.
Die Familie war in der Kirche zur Nachmittagsmesse gegangen und deshalb konnte sich unser Engel etwas ausruhen und durchschnaufen. Er schaute verzückt auf die vielen bunten Kugeln und Kerzen welche später angezündet wurden.
Weihnachten war so wunderbar, das schönste Fest auf der ganzen Welt und wer immer es feiern möchte wird es verstehen. Es ist ein Herzensfest, es bringt die Menschen zusammen und lässt einen inne halten in einem Moment der Liebe und Freude.
Der Engel wurde ein bisschen müde und plötzlich schlief er ein.
Sowas darf nicht passieren, man muss wachsam bleiben. Es ist keine Zeit zum Ausruhen, es gibt so viel zu tun träumte er wild vor sich hin.
Er wurde wieder wach, schreckte hoch und konnte sich kurz nicht orientieren.
Um Himmels Willen, ich bin eingeschlafen, jetzt aber sofort weiter, hoffentlich hole ich die verlorene Zeit wieder auf.
Der Engel wollte hochfliegen, aber er konnte sich nicht bewegen. Blieb auf dem Boden stehen. Was war passiert? Er tastete sich ab und sein kleines Herz blieb fast stehen. Sein Heiligenschein war verschwunden. Ohne diesen war kein Engel vollständig. Hektisch sah er sich in dem großen Wohnzimmer um, wo er ihn verloren haben könnte.
Hinter dem großen Sofa bewegte sich etwas. Ein kleines Mädchen lugte hervor.
„Oh, rief der Engel, „wer bist du denn? Ich dachte ihr seid alle in der Messe?“ So wurde es ihm zumindest aufgetragen. Die beiden sahen sich mit großen Augen an.
Das Mädchen robbte langsam zu ihm. Es trug einen hellblauen Schlafanzug und sah ziemlich krank aus, mit ihrer triefenden Nase. Es hatte die Arme hinter dem Rücken verschränkt.
„Ich bin erkältet und durfte nicht mit. Ich habe dich beobachtet. Bist du das Christkind?“ fragte es mit heiserer Stimme.
„Nein, ich bin ein helfender Engel. Ich mache die Geschenke zu etwas besonderem, ich verzaubere sie mit Sternenstaub.“ Er setzte sich erschöpft zu dem Christbaum und schaute ganz verzweifelt.
„Ich habe meinen Heiligenschein verloren. Ohne ihn kann ich meine Arbeit nicht erledigen. Ich wollte nur kurz verweilen und schon bin ich wohl eingenickt.“ jammerte das Engelchen traurig.
„Hier ist er. Ich wollte ihn nur mal kurz berühren und schon hatte ich ihn in der Hand. Tut mir leid, ich dachte erst ich habe Fieber und träume, aber du bist wirklich da und es ist einfach super. Da bin ich aber froh, dass ich krank bin, sonst hätte ich dich nicht getroffen.“ freute sich das Mädchen, grinste und reichte unserem erleichterten Engel seinen Heiligenschein zurück.
Dieser setzte ihn schnell auf sein Haupt und schon spürte er seine göttliche Energie zurück.
„Danke, das ist wirklich lieb von dir. Als Belohnung kann ich dich gesund machen, dann kannst du den Heiligen Abend und die Feiertage mit deiner Familie besser genießen.“
„Nein danke, so schlecht geht es mir nicht mehr. Weißt du, es ist eigentlich ganz schön, wenn man ein bisschen krank ist, dann wird man verhätschelt, darf im Bett bleiben und den ganzen Tag Fernsehen schauen. Meine Brüder lassen mich auch in Ruhe und Mama setzt sich zu mir ans Bett und liest mir vor.“ Die Kleine hatte wohl schon ihren eigenen Plan für die Festtage.

„So, so, du bist mir ja eine. Ich muss jetzt wieder los, dann leb wohl und werde bald gesund und vielleicht behältst du das hier besser für dich.“ Unserem Engel war sein Missgeschick immer noch peinlich. Nicht das es bis „nach oben“ kam, wer weiß, heute wurde ja alles durch die Welt posaunt, schneller als jeder Engel fliegen kann.

„Keine Sorge, ich erzähle es nicht. Mir glaubt eh keiner was. Aber schön, dass du hier warst, ich habe immer gewusst, dass es euch alle gibt. Deswegen habe ich hier heimlich gewartet“.
Die beiden lächelten sich an.
Der kleine Engel streichelte dem Mädchen über das Haar.
„Bleib wie du bist und freue dich, lass Liebe in dein Herz und glaube fest an alles was du innerlich schon lange weißt. Ich segne dich. Schöne Weihnachten“ und er erhob sich und schwebte durch den Raum, hinaus in die stille Nacht zurück zu seinen himmlischen Gefährten.

Als Mama, Papa und die zwei großen Brüder von der Messe zurückkamen, sahen sie ihr Kind und ihre kleine Schwester vor dem Weihnachtsbaum liegen. Friedlich schlafend mit einem seligen Lächeln im Gesicht.
„Süße, was machst du denn hier. Du sollst doch nicht ins Wohnzimmer gehen. Komm du frierst doch hier ohne Decke“ sagt die Mama leise, als das Mädchen die Augen aufschlug.
„Nein Mama, mir ist ganz warm ums Herz. Ich habe so schön vom Christkind geträumt und ich freue mich mit euch Weihnachten zu feiern“ lächelte sie glücklich und genau so war es auch.